Portugal

In Portugal tauchten Forderungen nach dem Frauenwahlrecht Ende des 19. Jahrhunderts auf; in städtischen Frauenzirkeln, die der (rein männlichen) 1876 gegründeten Republikanischen Partei nahe standen, wurde es ab 1893 Thema, als in Neuseeland das erste Mal in der Welt Frauen an einer Wahl teilnahmen.

 

Zu der Zeit war das Land eine Monarchie mit schwachen parlamentarischen Strukturen, die auch den Männern nur ein eingeschränktes Klassen-Wahlrecht einräumten: Es war gebunden an Grundbesitz sowie an die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können – und galt daher nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung. In den 1880-er Jahren kamen dennoch ein paar republikanische Abgeordnete in das Parlament.
Portugal war außerdem eher ländlich-agrarisch strukturiert und gerade auf dem Land waren insbesondere die Frauen von tiefem Katholizismus und dem entsprechenden traditionellen Rollenverständnis geprägt. Sie arbeiteten in der Landwirtschaft und im Haus, waren von der Bildung praktisch ausgeschlossen: Zwar waren die Universitäten theoretisch auch für Frauen offen, doch sie konnten bis in die 1880er Jahre keinen Schulabschluss erlangen, der ihnen den Zugang ermöglicht hätte. Unter dem Einfluss republikanischer Parlamentarier wurden die Schulen jedoch auch für Mädchen geöffnet und die konnten sich für ein Universitätsstudium qualifizieren.
1891 war Domitila de Carvalho die erste und einzige Frau, die sich an der Universität von Coimbra einschrieb. Nach dem Abschluss ihres Mathematik- und Philosophie-Studiums setzte sie noch ein Medizin-Studium darauf, das sie 1904 abschloss. Zwei Jahre zuvor, 1902, hatte eine andere Frau an der Polytechnischen Hochschule in Lissabon ihren Medizinerinnen-Abschluss gemacht: Carolina Beatriz Ângelo. Im selben Jahr heiratete die damals 24-Jährige einen republikanisch gesinnten Arzt, ein Jahr darauf kam ihre Tochter zur Welt. Carolina Beatriz Ângelo spezialisierte sich später auf Gynäkologie und Chirurgie und war die erste Frau in Portugal, die in einer Klinik Operationen durchführte.

 

Und sie war die erste portugiesische Frau, die an einer Parlamentswahl teilnahm. Bald nach Studium, Heirat und Geburt der Tochter hatte sie sich mit anderen Ärztinnen – darunter auch Domitila de Carvalho – der politischen Frauenbewegung angeschlossen, die sich für die Errichtung einer Republik einsetzten. Zunächst wurde Carolina Beatriz Ângelo Mitglied in der portugiesischen Sektion der französischen Organisation „La Paix et le Désarmement par les Femmes“, 1907/08 arbeitete sie im „Grupo Português de Estudos Feministas“ mit, später in der im August 1908 gegründeten „Liga Republicana das Mulheres Portuguesas“.

 

Ab 1909 war sie stellvertretende Vorsitzende der „Liga“ auf nationaler Ebene, zeigte sich aber zunehmend unzufrieden mit deren Ausrichtung: Da die „Liga“ sich nicht explizit für das Frauenwahlrecht einsetzte, trat sie im April 1911 von ihrem Amt zurück und gründete im Mai mit ihrer Mitstreiterin Ana de Castro Osório die Associação de Propaganda Feminista – die erste portugiesische Frauenwahlrechtsorganisation.

 

Am 5. Oktober 1910 war die Monarchie gestürzt und die Republik ausgerufen worden. Und es war erstmals ein von Grund- oder sonstigem Besitz unabhängiges Wahlrecht eingeführt worden, das für alle „portugiesischen Bürger mit mehr als 21 Jahren, die lesen und schreiben können, sowie Familienoberhäupter sind“ galt. Und da Carolina Beatriz Ângelos Mann im Januar 1910 verstorben und sie Familienoberhaupt war, beschloss sie, an der für Mai 1911 anberaumten Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung teilzunehmen.

 

Bei der Wahlkommission des zweiten Wahlbezirks Lissabons stellte sie den Antrag, in das Wählerregister aufgenommen zu werden, da sie als Witwe mit einer Tochter Familienoberhaupt sei, mehr als 21 Jahre alt sei und studiert habe. Der Begriff „alle portugiesischen Bürger“ war ja nicht nach Geschlecht spezifiziert.

Die Wahlkommission lehnte Ângelos Antrag zunächst ab, wogegen sie beim Gericht „Tribunal da Boa-Hora“ Berufung einlegte. Am 28. April 1911 entschied der Richter João Baptista de Castro, dass ein Ausschluss einer Frau aus dem Wählerregister allein aufgrund ihres Geschlechts absurd und nicht den Idealen der Demokratie und Gerechtigkeit entspräche, wie sie von der Republikanischen Partei zur Revolution propagiert worden seien. Aufgrund dessen sei die Antragsstellerin in das Wählerregister aufzunehmen.

 

Ein Monat später, am 28. Mai 1911, nahm Carolina Beatriz Ângelo als erste portugiesische Frau an den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung teil. In Begleitung ihrer Freundin und Mitstreiterin Ana de Castro Osório wählte sie im Wahllokal von Arroios im „Clube Estefânia“, wobei es zu einem Zwischenfall kam, da der Wahlvorsteher des Wahllokals zunächst – trotz ihres Eintrags im Wählerregister – ihre Stimme nicht annehmen wollte. Ein Polizist, der das Wahllokal bewachte, musste einschreiten.
Der historische Akt erregte große Aufmerksamkeit der Presse, zahlreiche Zeitungen berichteten über Ângelos Teilnahme an der Wahl. Niemals zuvor hatten so viele portugiesische Zeitungen über eine Feministin und Frauenrechtlerin berichtet.
Am 3. Oktober 1911 – ein Jahr nach der Proklamation der Republik, starb sie an einem Herzinfarkt. So hat sie nicht mehr erlebt, dass das – wenn auch versehentlich gewährte – eingeschränkte und nur unter speziellen Bedingungen zu erlangende Wahlrecht für Frauen wieder abgeschafft wurde. Bereits ab 1913 galt das Wahlrecht ausschließlich für portugiesische Bürger männlichen Geschlechts. Und das blieb so bei allen 45(!) Parlamentswahlen, die in den 15 Jahren bis zum Ende der 1. Republik stattfanden. Diese wurde am 28. Mai 1926 durch einen Militärputsch beendet; zwei Jahre später beriefen die Militärs den Wirtschaftsprofesseor António Salazar zum Ministerpräsidenten, der das Land in eine faschistische Diktatur umwandelte.

 

Carolinas Kampfgefährtinnen verfolgten indessen ihr Ziel, wählen zu dürfen, unbeirrt weiter, Einige von ihnen, die konservativen Frauen um Domitila de Carvalho, erreichten es schließlich, dass Salazar den Frauen immerhin ein gewisses Wahlrecht einräumte: Ab 1931 konnten Frauen wählen, doch sie mussten mindestens die Oberschule absolviert haben – im Gegensatz zu den Männern, die lediglich lesen und schreiben können mussten. 1934 gelangten über die salazaristische Einheitsliste Uniao Nacional die ersten drei Frauen ins Parlament: Domitila de Carvalho, Maria Guardiola und Maria Candida Parreira.

 

Erst 1968 durften Frauen auch auch ohne den Status „Familienoberhaupt“ wählen. Ein volles Wahlrecht für Frauen in Portugal wurde erst nach der Nelkenrevolution am 25. April 1974 beschlossen.

 

Heute beträgt der Frauenanteil in der Assembleia da República: 34,8 % ; in der Regierung (derzeit Minderheitsregierung der Sozialistischen Partei) sind aber nur 16,7 % Frauen.