Freiburg

Ortsgruppe Freiburg.
In einer öffentlichen Versammlung am 31. März sprach Dr. Anita Augspurg über „Frauenstimmrecht in Staat und Gemeinde“. Ueber 1000 Personen waren herbeigeströmt, um dem Vortrage zu lauschen, eine Zahl, die keine von Frauen veranstaltete Versammlung in Freiburg bisher erreicht hat.
(Meldung der Ortsgruppe Freiburg in der Zeitschrift für Frauenstimmrecht, 1908)

 

Auch wenn es nur eine selten große, von Freiburger Frauen organisierte Versammlung war, die am 31.03.1908 den Paulussaal hinter der Dreisamstr. 3 an seine Kapazitätsgrenzen brachte, die Veranstaltung mit Anita Augspurg ist ein Beleg für den Aufbruch von Frauen im Deutschen Kaiserreich und für die Mobilisierungskraft des Themas Frauenwahlrecht wie der Ortsgruppe Freiburg des „Badischen Vereins für Frauenstimmrecht“.

 

Anita Augspurg, seit 1900 die zentrale Persönlichkeit des radikaleren Flügels der bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung, war die Vorsitzende des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht und damit genaugenommen auch die Vorsitzende der Freiburger Ortsgruppe. Frauen im Kaiserreich war es an den meisten Orten Deutschlands bis 1908 gesetzlich nicht erlaubt, Mitglied politischer Vereine und Parteien zu sein (Ausnahmen in Baden und Hamburg seit 1893) und in den meisten Bundesstaaten war es Frauen sogar untersagt, an politischen Versammlungen teilzunehmen. Aber die in Zürich promovierte Juristin Anita Augspurg und ihre Mitstreiterin und Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann hatten im liberalen Hamburg eine Gesetzeslücke ausgemacht und gründeten den deutschen Verein, später Verband für Frauenstimmrecht und juristisch gesehen war die Freiburger Ortsgruppe eine Zweigstelle des Hamburger Verbandes.

 

Das Presseorgan des Verbandes war die „Zeitschrift für Frauenstimmrecht“ (Herausgeberin Anita Augspurg), die monatlich als selbstständige Zeitschrift „für die politischen Interessen der Frau“ und als Beilage der „Frauen-Bewegung“ erschien und in Freiburg z.B. im Lesesaal der Volksbibliothek am Münsterplatz gelesen oder im Alkoholfreien Restaurant in der Kaiserstr. 35 erworben werden konnte. Die dort festgehaltenen Aktivitäten der Ortsgruppe sind ein wesentlicher Anhaltspunkt zu den Themen, der Vereinsarbeit und den Verbindungen der bürgerlichen Frauen in Freiburg, die sich für ihre politischen Rechte einsetzten.

 

Freiburg war eine Hochburg der Frauen-Bildungsbewegung, die in einem vergleichsweise aufgeschlossenen, fortschrittlicheren Staat – Großherzogtum Baden – die ersten Erfolge feiern konnten. 1893 wurde in Karlsruhe erstmals in Deutschland die erste Klasse eines Mädchengymnasiums zugelassen und eingeweiht (zunächst noch privat organisiert und finanziert) und zur Jahrhundertwende 1899/1900 wurde die erste im Deutschen Kaiserreich offiziell anerkannte Studentin an der Universität Freiburg immatrikuliert.

 

Wie eng die Bewegung der Lehrerinnen mit der Frauenstimmrechtsbewegung verbunden war, lässt sich nicht nur an gemeinsamen Veranstaltungsorten und gemeinsamen Initiativen nachvollziehen – im Frauenklub in der Eisenbahnstr. 33 fanden die monatlichen Treffen der Freiburger Ortsgruppe statt, der Freiburger Lehrerinnenverein war im Dezember 1907 korporativ dem Verein für Frauenstimmrecht beigetreten – sondern wird auch an den handelnden Personen deutlich.

 

Im Januar 1907 war die Freiburger Ortsgruppe gegründet worden und über die erste Vorsitzende, „Frau Hellwich“ wissen wir außer ihrer Meldeadresse in der Zasiusstr. 71 noch nichts, aber über die im Dezember 1907 gewählte neue Vorsitzende Carola Proskauer (1884 – 1927) konnten wir in Erfahrung bringen, dass sie zu den damals etwa 100 Studentinnen an der Freiburger Albert-Ludwig-Universität zählte und seit dem Wintersemester 1904/05 Altphilologie studierte. Nach ihrer Promotion und der Ablegung der Staatsprüfung 1910 arbeitete sie bis 1913 als Privatlehrerin für Griechisch und nach unentgeltlichen „Praktikas“ und Vertretungen am Lessing-Gymnasium in Karlsruhe erteilte das badische Ministerium im Oktober 1913 die Zustimmung zur Anstellung als Beamtin am ersten und heute ältesten Mädchengymnasium Deutschlands. Zu ihrer Zeit war Carola Proskauer eine von zwei studierten und promovierten Lehrerinnen in ganz Karlsruhe. Im jungen Alter von 41 Jahren verstarb Carola Proskauer, im Jahresbericht 1926/27 der Schule heißt es: „ Professorin Dr. Carola Proskauer wurde uns am 11. Januar nach schwerer Krankheit entrissen“.

 

Im Dezember 1911 vermeldet die Schriftführerin der Ortsgruppe Freiburg die Wahl von Lina Wäldin-Kobe zur neuen Vorsitzenden der lokal aktiven Frauenstimmrechtlerinnen. Auch Lina Wäldin, die am 26.07.1869 als erste Tochter von Johann und Magdalena Kobe in Freiburg zur Welt kam, war Lehrerin gewesen, allerdings hat sie zum Zeitpunkt ihrer Wahl zur Vorsitzenden ihren Beruf sehr wahrscheinlich nicht mehr ausüben können. Denn 1908 hatte sie ihren Mann Robert Wäldin, ebenfalls Lehrer, in Freiburg geheiratet und aufgrund des damaligen sogenannten „Lehrerinnen-(Beamtinnen-)Zölibats“ war sie durch die Eheschließung de facto gezwungen ihre Anstellung als Lehrerin aufzugeben.

 

Das Frauen diskriminierende Zölibat ist eines von vielen Beispielen der ungleichen, an das Geschlecht gebundenen Behandlung von Frauen, zu denen auch das frauenfeindliche Bürgerliche Gesetzbuch (BGB, 1900) beitrug, wonach in der Ehe den Ehemännern die volle Verfügungsgewalt über Einkommen/ Vermögen (auch das der Frauen) zugesprochen wurde wie auch Entscheidungen gemeinsame Kinder betreffend allein in der Hand der Ehemänner lagen.
„Dieser unwürdige Zustand wird nur beseitigt, wenn Frauen selbst an der Gesetzgebung beteiligt sind, wenn sie mittels des Wahlzettels Männer und Frauen in die Parlamente entsenden, deren Gesinnung genügend Gewähr bietet für eine gerechte Verteilung von Rechten und Pflichten zwischen Männern und Frauen …“ Flyer des Bayerischer Vereins für Frauenstimmrecht, 1914.

 

Tatsächlich war die Abschaffung des Lehrerinnen-Zölibat (in den meisten Fällen traf das „Berufsverbot“ Lehrerinnen, weil andere Arbeitsgebiete von weiblichen Beamtinnen noch seltener waren) auf Antrag der Parteien DDP, DVP und USPD 1919 in die Weimarer Verfassung aufgenommen worden, allerdings bereits 1923 über die Personalabbauverordnung wieder eingeführt worden und galt in der BRD bis 1951 fort. Erst ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts 1957 sorgte dafür, dass das Beamtinnen-Zölibat als unvereinbar mit dem neuen Grundgesetz aus den Gesetzbüchern in Deutschland verschwand.

 

Recht häufig sind Texte von Lina Wäldin in der reichsweiten Zeitschrift des Allgemeinen Lehrerinnenbundes, „Die Lehrerin“, aber auch in anderen pädagogisch orientierten Publikationen zu lesen. Ihre Artikel sprühen vor Begeisterung für
ihren Beruf und für reformerische Ideen des Unterrichts und ihren Berufsstand. „Von Pädagogen der älteren Richtung wird freilich den Schulreformern gelegentlich vorgehalten, sie wollten den Kindern alles zu leicht machen, wohl gar den Ernst der Pflicht ganz aus der Schule verbannen. Schädigen wir wirklich das Pflichtgefühl der Kinder, wenn wir unsere und ihre Arbeit so gestalten, daß sie das, was sie sollen, mit Neigung tun? Steht etwa der sittlich höher, der „mit Abscheu tut, was die Pflicht ihm gebietet?“, (Wäldin,1911).

 

Von 1911 bis mindestens 1918 ist Lina Wäldin in der Ortsgruppe Freiburg und im Badischen Verein für Frauenstimmrecht in Funktionen als Vorsitzende oder Schriftführerin aktiv und sieht in der „Frauenbewegung, von der ja die Lehrerinnenbewegung nur ein Teil ist, einen mächtigen Ansporn für beide Geschlechter zu höchstmöglicher Vervollkommnung der eigenen Persönlichkeit .“ (Wäldin 1908/09).
Ob Lina Wäldin selbst zu den aktiven Freiburgerinnen zählte, die in Baden und darüberhinaus auf „Agitation“ oder bei den vielen Vernetzungstreffen unterwegs waren, die vor allem für den „radikaleren“ Flügel der bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung kennzeichnend waren, ist nicht bekannt.

 

Neben dem Verband für Frauenstimmrecht gab es die deutsche Vereinigung, später den deutschen Bund und dann noch den deutschen Reichsverband für Frauenstimmrecht. Die sich spaltende, vereinende, neu organisierende Stimmrechtsbewegung der bürgerlichen Frauen steht auch für unterschiedliche Wahlrechtskonzepte. Die Konservativen wollen dasselbe auf Einkommen beruhende Wahlrecht wie die Männer – sonst hätte die Dienstmagd dasselbe Wahlrecht wie die Hausherrin – und die Fortschrittlichen ein einkommensunabhängiges, gleiches, direktes Wahlrecht für Frauen, und damit auch für die Männer.

 

Aus Sicht der sozialistischen Frauenbewegung, in deren Mitte die Sozialdemokratin Clara Zetkin und ihre in Stuttgart produzierte Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ stand, ging es der bürgerlichen Bewegung sowieso nur um eine „Damen-Wahl“ und nicht um ein grundlegend neues gleiches Wahlrecht für die Frauen, wie es die SPD als einzige Partei im Kaiserreich propagierte und auch im Reichstag – wiederholt erfolglos – beantragte. Das aus heutiger Sicht demokratischste Modell wurde von den sozialistischen Frauen (nicht immer von den männlichen Parteigenossen) vertreten, allerdings als Teil des vorrangigen Klassenkampfes: „Der Kampf für das allgemeine Frauenstimmrecht ist das zweckmäßigste Mittel, die Situation im Interesse des proletarischen Befreiungskampfes zu nutzen“ Clara Zetkin, 1907 („Zur Frage des Frauenwahlrechts“ im Rahmen einer Konferenz sozialistischer Frauen).

 

Die Frauen der Stimmrechtsbewegung in Deutschland waren treibende Kräfte bei der internationalen Vernetzung der europa- und weltweiten Bewegung und gaben Impulse, die bis heute wirken. 1904 wurde in Berlin der Weltbund für Frauenstimmrecht/ International Woman Suffrage Alliance gegründet und 1910 formulierten auf der II. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen Clara Zetkin, Käte Duncker u.a. einen Beschluss, der den Beginn des Internationalen Frauentages am 8. März markiert: „ … veranstalten die sozialistischen Frauen aller Länder jedes Jahr einen Frauentag, der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht dient“.

 

Vor Ort, und wohl auch in Freiburg, verhinderte das Misstrauen zwischen dem klassenbewussten Proletariat und den bürgerlichen Damen lange gemeinsame Initiativen. Die Trennlinien und die Zersplitterung sind ein Grund, weshalb die Bewegung trotz vieler Initiativen und Herzblut nur in Trippelschritten vorwärts kam. Der Badische Verein für Frauenstimmrecht und die Ortsgruppe Freiburg tourten mit Vorträgen übers Land, reichten im Badischen Parlament, der Badischen Ständeversammlung, Petitionen für ein kommunales Wahlrecht für Frauen ein – das es in einigen Bundesstaaten des Kaiserreichs gab – und riefen zur Wahl von Frauen für die Gremien der Ortskrankenkassen und Handelskammern auf.

 

Ein weiteres Aktionsfeld war das Frauenstimmrecht in den Kirchengemeinden. Lina Wäldin und ihr Mann versuchten das Stimmrecht in den evangelischen Kirchengemeinden Badens zu erreichen. Mit dem Kampagnen-Klassiker der Unterschriftensammlung hatten sie 1914 der Generalsynode der evangelischen Landkirche Baden 1.813 Unterschriften vorgelegt, die ein gleiches Kirchenwahlrecht von Frauen und Männern forderten. Die Eingabe des „Lehrerehepaar Wäldin“ wie die anderer Initiativen aus Mannheim und Heidelberg wurden wachsweich als „erwägenswert“ behandelt und erstmal auf die lange Bank geschoben.

 

Zu einer Massenbewegung für das Frauenstimmrecht kam es in Deutschland nicht, aber in Großbritannien. Von der deutschen Presse als abschreckende Beispiele gebrandmarkt, wurden die englischen Suffragetten mit ihren radikalen Methoden andernorts bestaunt und verteidigt, so am 25. Januar 1909 als die Schwestern Brackenbury aus London im Unteren Saal des Kaffehauses “zum Kopf“ in Freiburg aus der englischen Frauenstimmrechtsbewegung berichteten.

 

Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 trat das Thema Frauenwahlrecht in den Hintergrund und vor allem das bürgerliche Lager widmete sich nationalen Pflichten, z.B. in der Organisation des Nationalen Frauendienstes, zu dem sich auch in Freiburg viele Frauenvereine zur Aufrechterhaltung der städtischen Verwaltung, Versorgung und Lazaretten zusammengeschlossen hatten. Schon bald nach Kriegsbeginn war die Frauenarbeit an der „Heimatfront“ nicht mehr wegzudenken.
Frauen, die wie Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg weiter Kontakt mit der Frauenbewegung der „Feindesländer“ hielten und auch zu internationalen Treffen reisten, um Zeichen für Versöhnung und Frieden zu setzen, wurden meist als Vaterlandsverräterinnen geschmäht.

 

Dass es mitten im Krieg doch noch zu einer breiten gemeinsamen Initiative der unterschiedlichen Akteure in der deutschen Stimmrechtsbewegung kam, hatte mit einer Enttäuschung zu tun.
Um die Kriegsunterstützung der vor der Spaltung stehenden SPD im Reichstag zu sichern, stellte Kaiser Willhelm II in seiner Osterbotschaft am 7. April 1917 eine künftige Demokratisierung und eine Wahlrechtsreform in Aussicht. Ein politisches Recht der Frauen kam dabei nicht vor.
Das war die Initialzündung für ein sehr breites Frauenbündnis -„führende Frauen aller Richtungen“ – das mit einer gemeinsamer Erklärung im Herbst 1917 wieder Fahrt aufnahm und mit Kundgebungen und Eingaben versuchte, den Druck zu halten.

 

Am 1. Mai 1918 wurde im Freiburger „Frauenklub“ bei einer gemeinsamen Veranstaltung der Vereine Frauenbildung-Frauenstudium und der Ortsgruppe Freiburg die „nationale Arbeitsleistung der Frau im Kriege“ betont und als „einzige Form“, um dauerhaft die „vorbildliche Organisation“ der Frauenarbeit und die besonderen Aufgaben der Frauen – „die überall da liegen, wo Mütter- und Frauenfragen sich auftun“ – fortzuführen, das „Wahlrecht und Wählbarkeit der Frau, zunächst in der Gemeinde“ gefordert (Freiburger Tagblatt, 13. 05.1918). Tatsächlich stand das kommunale Wahlrecht der Frauen für die bürgerliche Frauenbewegung als erster erreichbarer Schritt zunehmend im Vordergrund.

 

Als das reichsweite Wahlrecht für Frauen doch eher überraschend am 12. November 1918, einen Tag nach dem Waffenstillstand und Kriegsende vom Rat der Volksbeauftragten – der Reichsregierung, die nur noch aus Sozialdemokraten (Mehrheits-SPD und Unabhängige SPD) bestand – verkündet wurde und bereits für Januar Neuwahlen in den Bundesstaaten und für den Reichstag beschlossen wurden, war in Freiburg Lina Wäldin konsequent: sie kandidierte für ein politisches Mandat.

 

Mit den Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung Badens am 5. Januar 1919 konnten erstmals in Deutschland Frauen wählen und gewählt werden und Lina Wäldin stand auf der Liste der Kandidierenden – eine von 15 Kandidatinnen im Wahlkreis Freiburg, bei 135 männlichen Kandidaten. Aufgestellt hatte sie die neu gebildete Deutsche Demokratische Partei (DDP), die zu Beginn der Weimarer Republik eine eher links-liberale Partei war, als eindeutige Verfechter der neuen Demokratie galt und die bevorzugte Partei vieler aktiver Frauen aus der bürgerlichen Stimmrechtsbewegung war.

 

Marianne Weber, engagagiert für Frauenrechte in Heidelberg und DDP-Abgeordnete in Baden, sprach als erste gewählte Frau in Baden, in der konstituierenden Sitzung am 15. Januar 1919 im Karlsruher Ständehaus: „Wir Frauen können nur unserer hohen Freude und Befriedigung darüber Ausdruck geben, dass wir zu dieser Aufgabe mitberufen sind, und ich glaube, sagen zu dürfen, dass wir besser für sie vorbereitet sind, als vielleicht die meisten von Ihnen glauben.“

 

Für die badische Nationalversammlung – übrigens waren nur badische Staatsangehörige wahlberechtigt – reichten die Stimmen für Lina Wäldin nicht für ein Mandat. Aber in die Freiburger Stadtverordnetenversammlung (Vorläufer des Gemeinderats), die am 25. Mai 1919 gewählt wurde, zog Lina Wäldin als zweite DDP-Frau neben Dr. Else Liefmann als Abgeordnete ein. Dreizehn weitere Frauen, sieben in der stärksten Fraktion der Zentrumspartei – Anna Schweiß, Mathilde Otto, Anna Marbe, Maria Jehle, Ernestine Zeiser, Johanna Wertheimer, Henriette Schatz – fünf (von 25 Sitzen) Sozialdemokratinnen – Marie Haack, Rosa Zinserling, Dr. Dora Landé, Anna Schenk, Hermine Forsthuber – und Berta Fleming für die Deutsch-Nationale Volkspartei nahmen neben 81 Männern im Rathaus Platz.

 

Schon im Oktober 1920 wird die weitere Lebensgeschichte von Lina Wäldin wieder unschärfer. Wir wissen, dass sie mit ihrem Mann in den 20er Jahren Richtung Kandel, nach Efringen, später Müllheim umgezogen ist. In Efringen war Robert Wäldin Lehrer an der dortigen Hauptschule gewesen und es könnte sein, dass Lina Wäldin wie in der von ihr 1910/11 verfassten Beschreibung des Heimatkundeunterricht “im Freien“ an dem Schulleben ihres Mannes Anteil genommen hat: „Stellt euch auf, wir gehen spazieren!. Heißa, ist das ein Jubel! Im Nu ist die muntere kleine Schar marschbereit …Wer daher Schuhe und Strümpfe an hat, folgt jetzt dem Beispiel des Lehrers und seiner Frau, setzt sich an den sonnigen Rain und „macht sich barfuß“, um das Delta zu durchwaten.“

 

Robert Wäldin wird in den 1930er Jahren in den Ruhestand versetzt, um den Eintritt in den Nationalsozialistischen Lehrerbund kommt er laut Entnazifizierungsakten nicht herum, Mitglied der NSDAP war er nicht. Beide hatten in den 1920er Jahren eine Pflegesohn angenommen, der von seiner Pflegemutter Lina Wäldin eine anthroposohische Erziehung genossen haben muss (laut Schwiegersohn von Werner Wäldin).
Lina und Robert Wäldin überleben den zweiten Weltkrieg, sterben im Sommer 1950, Lina Wäldin litt an einer Altersdemenz und Robert Wäldin starb im Juli 1950 in Müllheim.

 

In den 1990er Jahren hatte die Historikerin Birgit Heidtke in „Margarethas Töchter“, einer Stadtgeschichte der Frauen in Freiburg, das Thema Frauenstimmrecht dem Gedächtnis der Stadt wiedergegeben und zum 8. März 2019 stärken wiederentdeckte Details und erstmals Fotos von Lina Wäldin die Erinnerungsarbeit an die Stimmrechtsbewegung der Frauen in Freiburg. Und ermuntern zur weiteren Forschung.

 

CLEMENS HAUSER