Norwegen

 

1913 haben Frauen in Norwegen das volle gleichberechtigte Wahlrecht erhalten. Voraus ging ein Kampf der Frauenbewegung, der mehr als 30 Jahre dauerte und an dessen Ende Norwegen eines der ersten Länder der Welt wurde, das ein allgemeines Frauenwahlrecht einführte.

 

Als sich Schweden und Norwegen als gemeinsame „Union“ 1814 unabhängig von Dänemark machen konnten, wurden bereits 40 % der Männer über 25 mit einem Wahlrecht ausgestattet. Die Forderungen der Frauen nahm 1884 mit der Gründung der ersten Frauenrechtsorganisation Fahrt auf. Die Norsk kvinnesaksforening (Norwegian Women‘s Association/ NKF) und ihre Gründerinnen Gina Krog und Hagbard Berner machten das Frauenwahlrecht zu einer ihrer zentralen Themen. Sie forderten eine politische Beteiligung, die Frauen das Wahlrecht unter den gleichen Bedingungen wie den Männer gewährt.

 

Ab 1898 verfügten alle Männer über ein allgemeines Wahlrecht, aber noch hatte keine Frau eine Stimme.

 

Immerhin, keine drei Jahre später, 1901, erhielten Frauen ein begrenztes kommunales Wahlrecht. Wahlberechtigt waren Frauen, die Steuern über einen bestimmten Betrag entrichteten, unabhängig davon, ob sie die Steuern selbst oder ihre Ehegatten diese Steuern zahlten. Zum Wahlrecht gehörte auch das Recht, in den Gemeinderat gewählt zu werden. Kommunal „allgemein“ und damit gleichberechtigt wählten Frauen in Norwegen bereits seit 1910.
Nach einem ähnlichen Schema erhielten Frauen auf der nationalen Ebene, der Wahl des „Storting“ (Parlament) ihr Wahlrecht. Ab 1907 eingeschränkt und ab 1913 gleichberechtigt. Die ersten Parlamentswahlen nach Einführung des allgemeinen Wahlrechts fanden 1915 statt.

 

In den 1880er Jahren hatten Frauen in der norwegischen Gesellschaft einige Fortschritte erreicht. Sie hatten das gleiche Erbrecht wie Männer, waren volljährig, handels- und handwerksfähig, konnten das Abitur abschließen und an der Universität studieren. Sie organisierten sich in verschiedenen Verbänden und immer mehr Frauen verdienten ihr eigenes Geld und bezahlten Steuern. Warum sollten sie also nicht auch die vollen Rechte als Bürger haben?
Weil dies gegen die Schöpfungsordnung Gottes sei, sich die Familie auflösen, die Gesellschaft aus dem Gleichgewicht geraten und die Frau „ein hartgesottener Aussetzer … ein Neutron“ werden würde, so Bischof Johan Christian Heuch, einer der schärfsten Gegner des Frauenwahlrechts.

 

Während sich bürgerliche und auch sozialistische Frauenorganisationen im ganzen Land gründeten, waren die Initiativen einer Frau besonders bemerkenswert: Elsa Laula Renberg (1877-1931), die „Jeanne D‘Arc“ der Samen/Lappen.
Als Vertreterin der Urbevölkerung, die zusätzlichen Einschränkungen und Diskriminierungen unterworfen waren (z.B. Verbot des Landbesitzes), setzte sie sich nicht nur für das Recht auf Land, Eigentum, Wasser, das Recht auf Bildung, die eigene Sprache, sondern auch für ein Wahlrecht von Frauen und Männer ein und zwar eines, das unabhängig von Vermögen und Eigentum besteht.

 

Sie verschaffte ihren Themen erfolgreich Aufmerksamkeit – mit guten Reden, Schriften, Kongressen und dem Aufbau von Organisationen, wie der ersten Organisation der Samen – Lappernas Centralförbund (1905) – oder der samischen Frauenorganisation „Brurskanke Sámiske kvindeforening“ (1910). 1924 kandidierte sie auf einer eigenen Sami-Liste für das norwegische Parlament, wurde aber nicht gewählt. Der Tag an dem sie den ersten, von ihr initiierten Kongress der Samen in Norwegen eröffnete, wurde 1993 zum Sami Nationalfeiertag in Norwegen (6. Februar) erklärt.

 

Dass seit 1901 fast jede zweite Frau in Norwegen zumindest kommunal wahlberechtigt war, ist der Lobbyarbeit der Frauenorganisationen zu verdanken, die mit Unterschriftensammlungen, persönlichen Briefen und ständigen Parlamentsanfragen die politischen Parteien von links nach rechts unter Dauerdruck hielten.

 

Wie in anderen Ländern gab es auch bei den Frauenorganisationen Norwegens unterschiedliche Positionen über die Form des Frauenwahlrechts. Im Lager der bürgerlichen Aktivistinnen wurde ein einkommensabhängiges Wahlrecht teilweise akzeptiert oder sogar befürwortet, solange es eine Gleichstellung zu den Rechten der Männer bedeutete, während die sozialdemokratisch, sozialisitsch orientierten Frauen ein allgemeines und gleiches Wahlrecht ohne Einkommensgrenzen forderten – sonst wäre ein größer Teil ihrer Anhänger*innen auch ohne Wahlrecht.

 

Arbeiterinnen, die verzögert in den Kampf für das Wahlrecht einstiegen – 1895 gründete sich der erste sozialistische Frauenverband der Arbeiterpartiet (Labour Party) – hatten erst begonnen, Auseinadersetzungen in ihrer Arbeitswelt zu führen und sich für ihre Rechte zu organisieren. Eine Schlüsselerfahrung war dabei der Streik von 400 meist sehr jungen Arbeiterinnen in einer Streichholz-Fabrik in Oslo. Der Streik für bessere Bezahlung, Hygiene und eine Reduzierung der täglichen Arbeitsstunden von 13,5 auf 12 war nicht sehr erfolgreich, aber war der Startschuss für die gewerkschaftliche Organisation der Frauen im Land.

 

Die massenhafte Unterstützung für das Frauenwahlrecht demonstrierten die Frauenverbände wirkungsvoll 1905, als ein Referendum für die Auflösung der Union zwischen Norwegen und Schweden abgehalten wurde. Frauen hatten kein Stimmrecht, aber 565 Frauenverbände organisierten eine mächtige Unterschriftensammlung, an der sich innerhalb von zwei Wochen 280.000 Frauen über 25 J. beteiligten. Am offiziellen Referendum nahmen 371.000 Männer teil.

 

Das Frauen-“Referendum“ stärkte die Forderung nach Einführung des nationalen Frauenwahlrechts und am 14. Juni 1907 wurde zum wiederholten Male im „Storting“ über das Wahlrecht der Frauen für die Parlamentswahl abgestimmt. Ausschlaggebend waren jetzt die Stimmen der sozialdemokratischen Arbeidarpartiet. Nachdem der weitestgehende Vorschlag eines allgemeinen, gleichen Wahlrechts abgelehnt worden war, stand ein durch Einkommen bestimmtes Wahlrecht, das nur wohlhabenderen Frauen das Wahlrecht bringen würde, zur Abstimmung. Die konservativen Abgeordneten unterstützen dieses eingeschränkte Wahlrecht, aber die Sozialdemokraten würden mit einer Zustimmung den weiteren Ausschluss der meisten Frauen der Arbeiterklasse mittragen.

 

Auf Antrag der Frauen in der Arbeiterpartiet stimmten die sozialdemokratischen Abgeordneten dennoch für den Vorschlag eines eingeschränkten Frauenwahlrechts und 1909 traten Frauen Norwegens an die Urnen, um ihre Vertreter und immerhin eine Vertreterin zu wählen. Anna Rogstad, die für die liberal-konservative Frisinnede Venstre kandidierte und 1911 in den Storting nachrückte, hielt fünf Tage nach ihrer Einberufung ihre erste Rede im Parlament, bei der sie für Kürzungen im Verteidigungshaushalt eintrat und Norwegens Aufgabe als Friedensschlichter hervorhob. Sie war eine versierte Rednerin und zeigte sehr typische Karriereschritte einer Frauenrechtsaktivisitin: Lehrerin, Mitgründerin und im Vorstand der Lehrerinnenvereinigung, der Norwegischen Frauenvereinigung und Frauenstimmrechtsvereinigung, Schulrätin, Kommunalpolitikerin.

 

Ihre progressiveren Gegenspielerinnen in der norwegischen Frauenstimmrechtsbewegung, Gina Krog und Frederikke Qvam waren internationale Botschafterinnen der Bewegung, Krog gründete 1904 in Berlin die Intenationale Frauenstimmrechts-Allianz (IWSA) mit.

 

LINE KRISTOFFERSEN